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von Lutz Barth » 11.11.2011, 19:25
Verehrter Johannes.
Ich denke, dass hier nicht der rechte Ort ist, rechtsphilosophische Grundsatzdebatten zu führen. Nur soweit: Freilich kenne ich keinen Menschen, der sich selbst das Leben gegeben hat. Die Frage ist, was hieraus folgt? Die seit Jahrhunderten tradierte Auffassung des christlichen Menschenbildes mit den hieraus sich ergebenden Implikationen und damit die scheinbar unverrückbare These, dass das Leben ein Geschenk sei, welches wir aus Respekt vor demjenigen, der es uns geschenkt hat, nicht eigenhändig auslöschen dürfen? Ohne Frage können wir uns darauf verständigen, dass hieran zu glauben jedem selbst überlassen bleibt, wenngleich es darauf hinzuweisen gilt, dass es "das Menschenbild" nach unserem Grundgesetz nicht gibt. Insofern sind die Ausstrahlungswirkungen, die ggf. aus dem christlichen Menschenbild für die weiteren Grundrechte (neben Art. 4 GG) durchaus überschaubar und dies gilt in einem besonderen Maße für das Selbstbestimmungsrecht. Gerade dieses Recht ermöglicht uns, weitestgehend selbst unseren persönlichen Lebensentwurf zu bestimmen, freilich unter der Berücksichtigung der Wahrung der berechtigten (Grundrechts-)Belange Dritter, da die uns gewährte Freiheit eben keine beliebige ist, die dann ggf. zur Fremdbestimmung über Dritte führen könnte. Insofern können wir zwar den Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod äußern und notfalls auch in eigener Tatherrschaft selbst ausführen, während wir für den Fall, dass wir hierzu eigens aufgrund einer Schwersterkrankung nicht mehr in der Lage sein sollten, lediglich auf eine Mitwirkung hoffen dürfen. Nun mache ich hier keinen Hehl daraus, dass ich gegenüber Sterbehilfeorganisationen durchaus skeptisch eingestellt bin und zwar ob ihrer Mittelmäßigkeit im Diskurs. Gelegentlich mag es gestattet sein, zu polarisieren, wenngleich doch dies kein Dauerzustand sein sollte. Will heißen, dass ich seit geraumer Zeit eine fundierte Argumentation vermisse, denn Sie haben, verehrter Johannes durchaus recht, dass es sich hier um existentielle Fragen an der Schnittstelle zwischen Moral, Ethik und Recht handelt, die keinesfalls plakativ beantwortet werden können. Allein dies wird durch eine mehr als 2500-Jahre alte Debatte dokumentiert, die sich im Übrigen auch bei den Verfassungsjuristen widerspiegelt. Dazu habe ich im BLOG bei Herrn Tolmein auch Stellung bezogen.
Eigentlich gibt es Nichts, was in der Debatte noch auszuführen, als vielleicht die höchst spannende Frage, wie wir das Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Recht aufzulösen gedenken. Nun - hier in aller Kürze: Ich denke, dass unsere Verfassung einen ethischen Grundstandard verbürgt und zwar ungeachtet dessen, dass hierauf die Last der Philosophiegeschichte ruht. Dies argumentativ zu belegen, ist natürlich in wenigen Zeilen nicht möglich, aber ich meine, dies ggf. in Kürze nachholen zu können.
Entscheidend ist und bleibt die Frage, wie wir all den Menschen begegnen wollen, die für sich (und nur für sich) einen "schnellen Tod" wünschen, ohne im Zweifel auf die Palliativmedizin in jeder Phase seines sich neigenden Lebens angewiesen zu sein? Ich denke, dass hier die Palliativmedizin einen sehr schmalen Grad beschreitet, bei dem die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass eben schwersterkrankte Patienten nicht auf all ihren Wegen begleitet werden können (in diese Richtung weist bereits der grammatikalische Wortlaut der Charta zur Betreuung schwersterkrankter und sterbender Menschen). Ich bin fast geneigt, die These in den Raum zu stellen, dass hier der Patient Gefahr läuft, für die Zwecke der Palliativmedizin instrumentalisiert zu werden.
Es geht also nicht um "Lebensbeender" oder "Lebensretter- oder -Begleiter", sondern einzig um die Frage, ob der Mensch selbst darüber entscheiden kann, wann und wie er sterben will? Der große Philosoph Kant mit seiner These vom "Selbstentleibungsverbot" hilft hier nicht weiter und - mit Verlaub - auch nicht der Hinweis auf die "Heiligkeit des Lebens", mag hieran der Glaube auch durchaus "Berge versetzen" und es dem gläubigen Christen ermöglichen, eigentlich "zuversichtlich und voller Vertrauen in seinen Schöpfer" seine letzte Reise anzutreten. Eine schöne Vision für all diejenigen, die fest im Glauben stehen und in der Nachfolge Christi redlich bemüht sind. Dies "glauben" aber eben nicht alle Individuen und insofern ringe ich persönlich jedenfalls um ein Rechts- und Toleranzverständnis, in dem die vermeintlichen Widersprüche auf der Grundlage des ethischen Standards unserer gemeinsamen Verfassungsordnung befriedet werden können. Ich rühme mich nicht, zum Kreise der Humanisten zu zählen, die nicht selten ein für mich höchst seltsames Verhältnis zur Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit entwickelt haben und offensichtlich ihre Berufung darin sehen, einen "Glaubenskrieg" zuvörderst gegen die großen verfassten Amtskirchen zu führen. Unsere Verfassung gebietet eben auch nicht das humanistische Menschenbild als einzig mögliches und insofern sollten die Humanisten gelegentlich auch ihre "10 Angebote" im Dorf lassen, so wie wir es auch bei der Interpretation von Grundrechten von der Religion erwarten.
Maßgeblich ist und bleibt das prinzipiell freie Individuum und insofern bekenne ich mich natürlich vorbehaltlos zur Autonomie, auch wenn ich weiß, dass diese gelegentlich zur schweren Last werden kann und stets umkämpft war, ist und bleiben wird.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!