Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Rechtsbeziehung Patient – Therapeut / Krankenhaus / Pflegeeinrichtung, Patientenselbstbestimmung, Heilkunde (z.B. Sterbehilfe usw.), Patienten-Datenschutz (Schweigepflicht), Krankendokumentation, Haftung (z.B. bei Pflichtwidrigkeiten), Betreuungs- und Unterbringungsrecht

Moderator: WernerSchell

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Gast

Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Beitrag von Gast » 15.04.2004, 11:15

Sterbehilfe: Welchen Spielraum gewährt das Grundgesetz?
Passive Sterbehilfe bei Wachkomapatienten nicht verfassungsgemäß

Eine weitgehende Liberalisierung der Sterbehilfe - etwa nach holländischem Vorbild - wäre verfassungsrechtlich bedenklich. Zu diesem Schluss kommt Dr. Tobias Linke, Jurist an der Universität Bonn, in seiner soeben erschienenen Dissertation "Grundrechtliche Spannungslagen am Lebensende". Auch die heute vielfach praktizierte passive Sterbehilfe bei Wachkoma-Patienten, beispielsweise durch Abbruch der künstlichen Ernährung oder Umstellung auf die bloße Flüssigkeitsgabe, sei ohne dezidierte Patientenverfügung nicht durch das Grundgesetz gedeckt. Für eine beschränkte Liberalisierung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe sieht Dr. Linke dagegen noch Spielraum: In manchen extremen Ausnahmefällen könne die staatliche Schutzpflicht für das Leben geringer wiegen als das Recht auf Selbstbestimmung eines unerträglich leidenden Patienten im Endstadium einer tödlichen Krankheit.
Der Bonner Verfassungsrechtler kritisiert den heutigen Umgang mit Wachkoma-Patienten, die ihre Behandlungswünsche nicht mehr äußern können. Sofern kein so genanntes Patiententestament vorliegt - also eine Verfügung, aus der dezidiert hervorgeht, dass der Betroffene im Fall eines Komas ohne Aussicht auf Besserung eine künstliche Ernährung, Beamtung oder andere lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt -, gehen die Gerichte vom "mutmaßlichen Patientenwillen" aus: Falls sich aus den allgemeinen Einstellungen des Betroffenen aus der Zeit vor der Krankheit und aus etwaigen Äußerungen ("Falls mir einmal so etwas was passiert, lasst mich sterben") darauf geschlossen werden kann, dass er lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt, kann der Arzt von ihnen absehen. Er kommt dabei nicht mit dem Gesetz in Konflikt - zumindest, wenn er auf Anweisung des Betreuers handelt und das Vormundschaftsgericht zugestimmt hat.
"Der mutmaßliche Patientenwille ist ein Konstrukt, mit dem man diese Form der Sterbehilfe in die Nähe der freiwilligen passiven Sterbehilfe rücken möchte, obwohl es in Wahrheit um Fremdbestimmung geht", kritisiert Linke (zur Differenzierung der Sterbehilfe s. Hintergrund weiter unten). "In der Vergangenheit gemachte Äußerungen zur Grundlage einer Entscheidung über Leben und Tod zu machen, widerspricht der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Lebensschutz!" Zum Schutz der Betroffenen seien selbst Patientenverfügungen genau zu prüfen: Sie müssten zeigen, dass der Betroffene umfassend ärztlich aufgeklärt worden sei und sich mit sämtlichen Optionen gründlich auseinandergesetzt habe, und sollten möglichst detailliert sein. "Und vor allem: Derartige Verfügungen müssen aktuell sein - Einstellungen ändern sich. Wenn eine Patientenverfügung längere Zeit zurückliegt, sollte man sie mit Vorsicht betrachten." Die Behandlungspflicht von Wachkoma-Patienten entfalle allenfalls dann, wenn etwa eine zusätzliche Erkrankung schwerwiegende therapeutische Eingriffe erforderlich macht, um das Leben des Betroffenen kurzfristig zu verlängern. "Das Grundgesetz schützt auch die körperliche Unversehrtheit", erklärt Dr. Linke. "Wenn beispielsweise im Endstadium einer unheilbaren Erkrankung schwere Operationen erforderlich sind, stehen die erforderlichen Eingriffe nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem erreichbaren Ziel. Ein solches Missverhältnis wird aber bei der komplikationslosen künstlichen Ernährung kaum eintreten."
Spielraum sieht der Jurist allerdings bei der direkten aktiven Form der Sterbehilfe, die bislang bei uns verboten ist: "In extremen Ausnahmefällen kann der Gesetzgeber die aktive Sterbehilfe durch einen Dritten auf das ausdrückliche Verlangen des Betroffenen erlauben - wenn der Kranke beispielsweise unter schwersten Schmerzen leidet, die auch medikamentös nicht in den Griff zu bekommen sind, er über sämtliche Optionen aufgeklärt wurde, aber körperlich nicht mehr dazu in der Lage ist, sein Leben selbst zu beenden. Die staatliche Schutzpflicht für das Leben tritt dann hinter der Selbstbestimmung des Betroffenen zurück", so Dr. Linke. "Ein absolutes Fremdtötungsverbot würde in solchen Ausnahmefällen dazu führen, dass ein in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkter und unerträglich leidender Mensch seine letzte grundrechtliche Freiheit nicht mehr ausüben dürfte."
Hintergrund: Man differenziert einerseits zwischen aktiver und passiver, zusätzlich aber zwischen unfreiwilliger, nicht freiwilliger und freiwilliger Sterbehilfe. Von aktiver Sterbehilfe spricht man bei Maßnahmen, die das Leben eines Sterbenden aktiv verkürzen - beispielsweise bei der Gabe tödlicher Schlaf- oder Schmerzmittel-Dosen. Hier unterscheidet man zudem noch zwischen direkter und indirekter Sterbehilfe - bei direkter Sterbehilfe ist der Tod beabsichtigt, bei indirekter wird er nur als Nebenfolge einer erforderlichen Schmerztherapie in Kauf genommen.
Bei der passiven Sterbehilfe dagegen werden lebenserhaltende Maßnahmen (z. B. die künstliche Ernährung, Beatmung, Dialyse etc.) abgebrochen oder gar nicht erst aufgenommen. Unfreiwillig ist Sterbehilfe dann, wenn sie gegen den erklärten Willen des Patienten erfolgt, nicht freiwillig, wenn der Patient einwilligungsunfähig ist - also bei psychisch Kranken und dementen Personen, aber auch bei Wachkomapatienten. Freiwillig ist Sterbehilfe, wenn der Betroffene sie ausdrücklich verlangt. Nach heutigem Strafrecht ist hierzulande die freiwillige und die nicht freiwillige Form der passiven Sterbehilfe sowie in bestimmten Fällen die indirekte aktive Sterbehilfe zulässig.

Ansprechpartner:
Dr. Tobias Linke
Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-7019
E-Mail: tobias.linke@jura.uni-bonn.de

Quelle: Pressemitteilung vom 14.4.2004
http://www.uni-bonn.de/Aktuelles/Presse ... 4/143.html

Gast

Re: Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Beitrag von Gast » 15.04.2004, 20:14

Die Debatte um einen Entwurf des SPD-Parlamentariers Rolf Stöckel zur gesetzlichen Regelung der Patientenautonomie am Lebensende hat sich merklich versachlicht, seitdem Medien- und Politikvertreter diesen überhaupt gelesen haben. Zunächst war das knapp zweiseitige Papier nur der Berliner Zeitung bekannt geworden, die am 7.4. zumindest missverständlich mit dem Aufmacher „Sterbehilfe soll erlaubt sein“ für Aufregung und teilweise reflexartige Empörungsreaktionen sorgte.

Auf den Entwurf selbst eingehend, gibt der FDP-Abgeordneten Detlev Parr bekannt, er würde die dort vorgeschlagene Regelung zur Patientenverfügung nicht mittragen, weil die für ihn unverzichtbare „Zeitnähe“ fehle. Parr geht davon aus, dass eine „Patientenverfügung regelmäßig bestätigt“ werden muss, sagte er der taz (8.4.), da sie sonst ihre rechtliche Verbindlichkeit verliere. Dem Tagespiegel (13.4.) nannte er gar eine Frist von nur einem Jahr. Auch die eher deklamatorische Aussage des Entwurfes von Stöckel, dass ein medizinischer Eingriff gegen den ausdrücklichen oder eindeutig erkennbaren Willen des Betroffenen eine Körperverletzung darstellt, will Parr nicht mittragen. Er sieht dadurch „das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient belastet“. Dabei hat Stöckel nur eine in der Rechtsliteratur unbestritten Rechtslage zum Ausdruck gebracht, ohne die eine verläßliche Verbindlichkeit der Patientenverfügung für Ärzte und Pflegepersonal kaum zu gewährleisten sein dürfte.

„Wir selbst neigen darüber hinaus zu einer Regelung, Vorsorgewilligen lieber im Vorhinein Qualitätskriterien für eine gültige, d.h. inhaltlich konkrete und individuelle Patientenverfügung an die Hand zu geben,“ erläutert Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschlands die ausführlicheren HVD-Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung, die mit dem Stöckel-Entwurf nicht völlig identisch sind. „Sonst stellt sich die eventuelle Untauglichkeit erst im Nachhinein heraus, wenn es zu spät ist. So sorgen wir u.a. auch für eine regelmäßige Aktualisierung von Patientenverfügungen, die bei uns hinterlegt sind.“

In der Debatte zu Wort gemeldet hat sich gestern (14.4.) auch der Informationsdienst-Wissenschaft der Universität Bonn. Zitiert wird der Verfassungsrechtsexperte Tobias Linke mit einem Beitrag: „Sterbehilfe: Welchen Spielraum gewährt das Grundgesetz“. Ihm zufolge sei die heute schon gelegentlich praktizierte "passive Sterbehilfe" bei Wachkoma-Patienten „ohne dezidierte Patientenverfügung nicht durch das Grundgesetz gedeckt.“ Noch Spielraum sieht Link hingegen für eine beschränkte Liberalisierung der freiwilligen „direkten aktiven Form der Sterbehilfe“: Ein absolutes Fremdtötungsverbot würde dazu führen, „dass ein in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkter und unerträglich leidender Mensch seine letzte grundrechtliche Freiheit nicht mehr ausüben dürfte.“
V. a. die gebräuchliche Konstruktion des „mutmaßlichen Willens“ ist es, die der Verfassungsrechtler sehr kritisch sieht: „In der Vergangenheit gemachte Äußerungen zur Grundlage einer Entscheidung über Leben und Tod zu machen, widerspricht der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum Lebensschutz“, erklärt Linke. Zum Schutz der Betroffenen seien auch schriftliche Patientenverfügungen genau zu prüfen. (Im Wortlaut s.o.)

Die genau umgekehrte Auffassung vertreten die Münchener Fachanwälte für Medizinrecht Putz und Steldinger, die in etlichen Fällen ein gewünschtes Sterben-Dürfen gerichtlich erst durch mehrere Instanzen durchkämpfen mussten. Dennoch betonen sie in einer Presseerklärung vom 8.4., dass sie eine Regelung der Sterbehilfe strikt ablehnen und für überflüssig halten. Vielmehr sei es ein Skandal, „dass so viele Politiker, Ärzte, Kliniken, Heime aber auch Vormundschaftsrichter und Rechtsanwälte medizinisch und juristisch völlig uninformiert sind und dennoch die Forderung nach aktiver Sterbehilfe erheben oder, was genauso unverständlich ist, legale passive Sterbehilfe als rechtswidrig bezeichnen.“

An eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung stellt die übergroße Mehrheit der Bevölkerung von 88 % schlicht und einfach die Erwartung, dass diese „eine direkte Bindewirkung gegenüber dem Arzt oder Krankenhaus“ haben soll. Außerdem solle „die Einschaltung eines Vormundschaftsgerichtes vermieden, eine notarielle Beglaubigung hinfällig werden.“ Dies ergab eine Emnid-Umfrage zu einer möglichen gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben aus Anlass der bevorstehenden Empfehlungen im Auftrag von Bundesjustizministerium und Bundestag.

Weitere Hintergründe, Quellen und Pressespiegel unter: http://www.patientenverfuegung.de/pv/archiv.htm

Gast

Re: Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Beitrag von Gast » 16.04.2004, 02:25

Es ist vielleicht wenig bekannt, dass ebenfalls aus rein verfassungsrechtlicher Sicht die Humanistische Union (nicht zu verwechseln mit: Humanistischer Verband Deutschlands und im Unterschied zu jenem) schon seit langem die Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe fordert. Das folgende Zitat stammt aus einer Pressemitteilung der HU vom 09.04.2002 (nachzulesen auf deren Homepage):

...Die älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation, die HUMANISTISCHE UNION, stützt sich bei ihrer Forderung nach Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe auf eine Stellungnahme des Rechtsphilosophen und ehemaligen hamburgischen Justizsenators Prof. Dr. Ulrich Klug, die dieser bereits 1985 bei einer Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages ab-gegeben hat. An der Spitze unserer Verfassung steht die Würde der freien, sich selbst be-stimmenden Person als höchster Rechtswert gem. Artikel 1 Grundgesetz. Zu dieser Selbstbestimmtheit des Menschen gehört von Verfassungs wegen auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, auf ein Sterben in Würde. Deshalb ist der Selbstmord straffrei und ebenso die Beihilfe dazu. Kann aber jemand, der z.B. gelähmt ist, keinen Selbstmord begehen, dann muss der Arzt oder enge Angehörige ihm beim Sterben helfen dürfen. Damit wird der Wille des Sterbewilligen respektiert - und dies hat nichts mit der natio-nalsozialistischen Euthanasie zu tun, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.

Während nach § 216 Strafgesetzbuch die Tötung auf Verlangen gegenwärtig strafbar ist, soll dieser Paragraph durch einen dritten Absatz ergänzt werden: "Der Täter handelt dann nicht rechtswidrig, wenn er die Tat begangen hat, um einen menschenwürdigen Tod herbeizuführen."

Gast

Re: Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Beitrag von Gast » 16.04.2004, 02:26

Es ist vielleicht wenig bekannt, dass ebenfalls aus rein verfassungsrechtlicher Sicht die Humanistische Union (nicht zu verwechseln mit: Humanistischer Verband Deutschlands und im Unterschied zu jenem) schon seit langem die Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe fordert. Das folgende Zitat stammt aus einer Pressemitteilung der HU vom 09.04.2002 (nachzulesen auf deren Homepage):

...Die älteste deutsche Bürgerrechtsorganisation, die HUMANISTISCHE UNION, stützt sich bei ihrer Forderung nach Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe auf eine Stellungnahme des Rechtsphilosophen und ehemaligen hamburgischen Justizsenators Prof. Dr. Ulrich Klug, die dieser bereits 1985 bei einer Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages ab-gegeben hat. An der Spitze unserer Verfassung steht die Würde der freien, sich selbst be-stimmenden Person als höchster Rechtswert gem. Artikel 1 Grundgesetz. Zu dieser Selbstbestimmtheit des Menschen gehört von Verfassungs wegen auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, auf ein Sterben in Würde. Deshalb ist der Selbstmord straffrei und ebenso die Beihilfe dazu. Kann aber jemand, der z.B. gelähmt ist, keinen Selbstmord begehen, dann muss der Arzt oder enge Angehörige ihm beim Sterben helfen dürfen. Damit wird der Wille des Sterbewilligen respektiert - und dies hat nichts mit der natio-nalsozialistischen Euthanasie zu tun, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.

Während nach § 216 Strafgesetzbuch die Tötung auf Verlangen gegenwärtig strafbar ist, soll dieser Paragraph durch einen dritten Absatz ergänzt werden: "Der Täter handelt dann nicht rechtswidrig, wenn er die Tat begangen hat, um einen menschenwürdigen Tod herbeizuführen."

Anja_Mueller
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GG für Legalisierung der Sterbehilfe keine Basis

Beitrag von Anja_Mueller » 17.04.2004, 12:26

Liebes Forum,
unser Grundgesetz bietet für eine Legalisierung der Sterbehilfe keine Basis. Aktive Sterbehilfe muss außer Betracht bleiben. Menschliche Zuwendung und Palliativmedizin müssen gefördert und verstärkt eingesetzt werden. Darum muss es gehen. Siehe auch die nachfolgenden Texte im Forum.
Gruß Anja

Die Würde des Menschen am Ende seines Lebens
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... 1080371385

MdB-Initiative zu Sterbehilfe-Regelung
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... 1081690245

Keine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... 1069224324

Gast

Sterbehilfe trifft jeden im Lebensnerv

Beitrag von Gast » 18.04.2004, 13:09

Die Würde des Sterbens

TRIALOG

Von Antje Vollmer

Wir haben es ahnen können: Die in der Osterwoche losgetretene Diskussion um Sterbehilfe trifft jeden von uns in seinem Lebensnerv. Durch die Entwicklungen in Medizin und Pharmakologie stellt sich eine uralte Menschheitsfrage neu: Wie und wann wollen wir sterben? Nicht nur der Beginn des menschlichen Lebens, sondern auch sein Ende scheinen immer stärker in unsere Verfügungsgewalt gestellt. Ein unheimlicher Prozess der Be- und Entwertung menschlichen Lebens ist in Gang gekommen.

Das Thema Sterbehilfe bringt uns sehr nah an einen ethischen Dammbruch.
...
Weiter unter
http://www.tagesspiegel.de/thema-des-ta ... 076650.asp

Gast

Antje Vollmer: (Miss-)Verständnis des GG ?

Beitrag von Gast » 23.04.2004, 23:16

"SELBSTBESTIMMUNG VOR DEM TOD - IM INTERESSE ALLER MUSS DER GESETZGEBER KLARHEIT SCHAFFEN" lautet der Beitrag in der WELT (23.4.) von Prof. Volker Gerhardt, Mitglied des Nationalen Ethikrats. Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie, Rechts- und Sozialphilosophie an der Humboldt-Universität Berlin.
Zitiert ist hier auszugsweise aus den letzten Passagen, die eine Replik auf Antje Vollmer (s.o.) betreffen:

<< ... Nicht nur Angehörige, Ärzte und Pfleger, sondern jeder von uns muss wissen können, ob es eine rechtlich anerkannte letzte Verfügung über das eigene Ende gibt. Und es muss gesetzlich geregelt sein, ob, wann und wie sie für andere verbindlich sein kann. ...

... Vor einem aber kann man sich schon vorher bewahren: Auch wenn die individuelle und die unumgängliche politische Entscheidung noch so schwierig sind, sollte man sich nicht zum Verzicht auf die notwendigen Begriffe verleiten lassen. Wenn Antje Vollmer, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages den Begriff der Selbstbestimmung zu einem Zeitgeistphänomen erklärt und andere ihn als "Fetisch" abtun, dann wird eine vernünftige Lösung von vornherein verstellt. Denn mit der Selbstbestimmung verzichtet man auf nicht mehr und nicht weniger als auf die Vernunft.

Es ist Immanuel Kant, dem wir den philosophischen Begriff der "Selbstbestimmung" verdanken. Er hat ihn, im Anschluss an Spinoza, eingeführt, um kenntlich zu machen, auf welche Weise der Mensch seine Freiheit gebraucht. Und das geschieht, indem der Mensch sich ohne die Vormundschaft eines anderen "selbst" bestimmt. Für Kant fallen die Freiheit und die Würde der Person in eins. Beiden liegt die Selbstbestimmung zugrunde.

So haben es offenbar auch die Väter des Grundgesetzes gesehen. Wer daher die Selbstbestimmung mit Antje Vollmer als "zeitgeistigen Begriff" beiseite schiebt, der macht auch Freiheit, Recht und Würde zur modischen Begleiterscheinung. Den ästhetischen Vorteil darin sehen wir sofort. Aber man wüsste doch gern, nach welchen Prinzipen wir so ernsthafte Fragen wie die der Sterbebegleitung erörtern sollen, wenn die Selbstbestimmung des Einzelnen keine Rolle spielen soll.>>

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Sie finden hier auch im Original, was der Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel wirklich sagte:

http://www.patientenverfuegung.de/pv/archiv.htm

Gast

Re: Sterbehilfe - Spielraum des Grundgesetzes ?

Beitrag von Gast » 28.05.2004, 19:13

Mehrheit der Deutschen gegen aktive Sterbehilfe
Sterbehilfe-Umfrage beweist: Deutsche wollen keine Euthanasie

Dortmund. Die Ergebnisse der jüngsten unabhängigen Emnid-Umfrage belegen: Nur 34 Prozent der Bundesbürger befürworten aktive Sterbehilfe, das heißt das Töten von schwerstkranken Menschen. Und je älter die Befragten sind, desto größer ist die Ablehnung: Nur 25 Prozent der Menschen über 60 Jahre sprechen sich für Euthanasie aus. Dagegen befürworten 40 Prozent der 14- bis 29-Jährigen Euthanasie. "Jetzt haben wir den Beweis: Es ist reine Propaganda der Sterbehelfer, dass eine Mehrheit der Deutschen für die aktive Sterbehilfe sei. Sie wollen erst recht nicht getötet werden, wenn das eigene Ende näher rückt", sagt Eugen Brysch, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung. "In Wahrheit will hier zu Lande niemand, dass schwerstkranke Menschen mittels Giftspritze entsorgt werden. Aktive Sterbehilfe ist eine theoretische Diskussion von Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Bei älteren Menschen macht sich die Einsicht breit, dass unheilbar Kranke qualifizierte Begleitung und Hilfe brauchen."

Nach wie vor sehr schlechte Versorgung der Schwerstkranken

Mehrere Studien im Auftrag der Deutschen Hospiz Stiftung belegten bereits in den vergangenen Jahren die Ablehnung der Euthanasie in Deutschland. Der Stiftung wurde aber von Sterbehelfer-Organisationen unterstellt, dies entspreche nicht der Realität. Die jüngste Emnid-Umfrage wurde von der Zeitschrift "Auf einen Blick" in Auftrag gegeben. Brysch betont, dass die Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden nach wie vor sehr mangelhaft ist. Nur 2,1 Prozent dieser Patienten erhalten Palliative-Care. Das ist die umfassende, professionelle Pflege und Begleitung von unheilbar kranken Menschen. Die schlechte Versorgung kann jedoch kein Argument für die Einführung der aktiven Sterbehilfe sein. "Wir müssen den Menschen Hilfe zum Leben und nicht Hilfe zum Töten anbieten", sagt Brysch.

Hintergrund
Die gemeinnützige und unabhängige Deutsche Hospiz Stiftung ist die Patientenschutzorganisation der Schwerstkranken und Sterbenden. Sie finanziert sich ausschließlich aus Spenden und Beiträgen von über 55 000 Mitgliedern und Förderern. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen DZI hat der Stiftung sein Spendensiegel verliehen, das Markenzeichen seriöser spendensammelnder Organisationen. Schirmherrin der Stiftung ist die Schauspielerin Uschi Glas.

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Hospiz Stiftung vom 28.5.2004
Bei Fragen und Interviewwünschen:
Michaela Gehms Telefon: 0231 /73 80 73-8
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Mobil: 01 71 / 6 29 45 45
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