Abtreiben ist nicht "Mord" und Babycaust"
Verfasst: 25.06.2006, 07:21
Bundesverfassungsgericht: Handeln eines Abtreibers darf nicht als „Mord“ und „Babycaust“ bezeichnet werden
Karlsruhe (ALfA). Das Bundesverfassungsgericht hat am 22. Juni 2006 die Verurteilung von Abtreibungsgegnern wegen Beleidigung bestaetigt. Damit folgten die Richter in Teilen einem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgericht (OLG). Dies geht aus einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom selben Tag hervor.
Hintergrund des Urteils (Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76)) ist die Aktion zweier Abtreibungsgegner, die im Oktober 1997 Flugblaetter auf einem Klinikgelaende in Nuernberg verteilten, auf denen namentlich ein Mediziner fuer Frauenheilkunde und Geburtshilfe angeprangert wurde, der seine auf Schwangerschaftsabbrueche spezialisierte Praxis als rechtlich selbstaendigen Betrieb auf dem Gelaende des Klinikums fuehrt. Auf der Rueckseite des Flugblatts hiess es unter anderem: „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoss auf dem Gelaende des Klinikums, damals: Holocaust – heute: Babycaust“. Im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits habe der Arzt die beiden Abtreibungsgegner auf Unterlassung der Verbreitung der Aussagen auf dem Flugblatt verklagt. Das Oberlandesgericht habe dem Unterlassungsanspruch nicht stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte nun jedoch ueberwiegend Erfolg.
Nach Sicht des Bundesverfassungsgerichts habe das Oberlandesgericht im Rahmen des Unterlassungsbegehrens auch die fuer die Angeklagten unguenstigere Auslegung ihrer Worte zu Grunde legen muessen, naemlich die, dass „Mord“ im rechtstechnischen Sinne zu verstehen war. Dasselbe gelte fuer den gegen den Arzt gerichteten Vergleich zwischen nationalsozialistischem Holocaust und dem ihm angelasteten „Babycaust“. Auch dies sei eine mehrdeutige Aeusserung, die nicht nur als Vorwurf einer verwerflichen Massentoetung menschlichen Lebens verstanden werden konnte, sondern ebenso im Sinne einer unmittelbaren Gleichsetzung von nationalsozialistischem Holocaust und der als „Babycaust“ umschriebenen Taetigkeit des Arztes. Grundsaetzlich habe bei mehrdeutigen Aussagen zwar die Meinungsfreiheit Vorrang vor dem Persoenlichkeitsrecht des Betroffenen. Sofern sich die Klage aber gegen die Wiederholung von Vorwuerfen richte wie im vorliegenden Fall, sei es dem Urheber zuzumuten, Mehrdeutigkeiten zu vermeiden.
Das Bundesverfassungsgericht habe weiters festgestellt, dass die Verurteilung der Abtreibungsgegner wegen Beleidigung des Arztes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings muesse das Landgericht Nuernberg-Fuerth den Fall erneut pruefen, weil es, aus Sicht der Bundesverfassungsrichter zu Unrecht, dem Urteil nicht nur eine Beleidigung des Arztes, sondern auch der Kliniktraegerin zu Grunde gelegt hatte. Hier haette das Gericht klaeren muessen, ob sich die Aeusserung auf die Kliniktraegerin oder auf die im Klinikum taetigen Einzelpersonen bezogen habe, da beide Formen der Beleidigung unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Begruendungsanforderungen unterliegen. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Mehrdeutigkeit vorliegt, muesse es die fuer die Beschuldigten guenstigere Deutung der strafrechtlichen Beurteilung zu Grunde legen.
Weitere Informationen:
Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk2 ... 04900.html
Quelle: ALfA-Newsletter 23/06 vom 24.06.2006
Karlsruhe (ALfA). Das Bundesverfassungsgericht hat am 22. Juni 2006 die Verurteilung von Abtreibungsgegnern wegen Beleidigung bestaetigt. Damit folgten die Richter in Teilen einem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgericht (OLG). Dies geht aus einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom selben Tag hervor.
Hintergrund des Urteils (Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76)) ist die Aktion zweier Abtreibungsgegner, die im Oktober 1997 Flugblaetter auf einem Klinikgelaende in Nuernberg verteilten, auf denen namentlich ein Mediziner fuer Frauenheilkunde und Geburtshilfe angeprangert wurde, der seine auf Schwangerschaftsabbrueche spezialisierte Praxis als rechtlich selbstaendigen Betrieb auf dem Gelaende des Klinikums fuehrt. Auf der Rueckseite des Flugblatts hiess es unter anderem: „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoss auf dem Gelaende des Klinikums, damals: Holocaust – heute: Babycaust“. Im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits habe der Arzt die beiden Abtreibungsgegner auf Unterlassung der Verbreitung der Aussagen auf dem Flugblatt verklagt. Das Oberlandesgericht habe dem Unterlassungsanspruch nicht stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte nun jedoch ueberwiegend Erfolg.
Nach Sicht des Bundesverfassungsgerichts habe das Oberlandesgericht im Rahmen des Unterlassungsbegehrens auch die fuer die Angeklagten unguenstigere Auslegung ihrer Worte zu Grunde legen muessen, naemlich die, dass „Mord“ im rechtstechnischen Sinne zu verstehen war. Dasselbe gelte fuer den gegen den Arzt gerichteten Vergleich zwischen nationalsozialistischem Holocaust und dem ihm angelasteten „Babycaust“. Auch dies sei eine mehrdeutige Aeusserung, die nicht nur als Vorwurf einer verwerflichen Massentoetung menschlichen Lebens verstanden werden konnte, sondern ebenso im Sinne einer unmittelbaren Gleichsetzung von nationalsozialistischem Holocaust und der als „Babycaust“ umschriebenen Taetigkeit des Arztes. Grundsaetzlich habe bei mehrdeutigen Aussagen zwar die Meinungsfreiheit Vorrang vor dem Persoenlichkeitsrecht des Betroffenen. Sofern sich die Klage aber gegen die Wiederholung von Vorwuerfen richte wie im vorliegenden Fall, sei es dem Urheber zuzumuten, Mehrdeutigkeiten zu vermeiden.
Das Bundesverfassungsgericht habe weiters festgestellt, dass die Verurteilung der Abtreibungsgegner wegen Beleidigung des Arztes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings muesse das Landgericht Nuernberg-Fuerth den Fall erneut pruefen, weil es, aus Sicht der Bundesverfassungsrichter zu Unrecht, dem Urteil nicht nur eine Beleidigung des Arztes, sondern auch der Kliniktraegerin zu Grunde gelegt hatte. Hier haette das Gericht klaeren muessen, ob sich die Aeusserung auf die Kliniktraegerin oder auf die im Klinikum taetigen Einzelpersonen bezogen habe, da beide Formen der Beleidigung unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Begruendungsanforderungen unterliegen. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Mehrdeutigkeit vorliegt, muesse es die fuer die Beschuldigten guenstigere Deutung der strafrechtlichen Beurteilung zu Grunde legen.
Weitere Informationen:
Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk2 ... 04900.html
Quelle: ALfA-Newsletter 23/06 vom 24.06.2006