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Neue Wege am Lebensende - "Wertvorstellung & Respekt

Verfasst: 15.01.2007, 19:24
von Presse
Neue Wege am Lebensende
"Wertvorstellung und Respekt" – Ein neuer Leitfaden zur verbesserten Umsetzung von Patientenwünschen in der klinischen und ambulanten Versorgung


(dkw) Frankfurt am Main, 10. Januar 2007. Zwei von drei Bundesbürgern sterben im Alten- oder Pflegeheim oder im Krankenhaus. In vielen Fällen herrscht bei Pflegepersonal, Ärzten, Angehörigen und auch beim Patienten selbst Unklarheit über Behandlungswünsche und -möglichkeiten am Lebensende. Einen neuen Weg aus dieser unbefriedigenden Situation weist der Leitfaden „Wertvorstellung und Respekt“. Im Rahmen einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Klausurwoche wurde auf Initiative der Professur für Strafrecht (Universität Gießen) und des Zentrums für Ethik in der Medizin am Markus-Krankenhaus (Frankfurt/M.) der Leitfaden „Wertvorstellung und Respekt“ von einer interdisziplinären Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler erarbeitet. In Anlehnung an ein US-amerikanisches Vorbild, hat die Gruppe ein Kommunikations-Modell entwickelt. Danach werden die in einer Patientenverfügung festgelegten Behandlungswünsche nicht als punktuelles Ereignis begriffen, sondern als Teil eines kontinuierlichen Gesprächsprozesses. Für die Umsetzung dieses Konzepts in die Praxis sind neue Strukturen im deutschen Gesundheitswesen notwendig. Der Leitfaden will Mut machen, diese neuen Wege zu gehen.

In den letzten Jahren haben immer mehr Bundesbürger eine eigene Patientenverfügung verfasst. Darin werden Behandlungswünsche und Wertvorstellungen für den Fall zum Ausdruck gebracht, dass der Einzelne - vorübergehend oder dauerhaft - nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen unmittelbar zu äußern. Für Ärzte und Pflegepersonal sind diese Verfügungen wichtig, weil sie sich aus rechtlicher und ethischer Sicht am Willen des Patienten zu orientieren haben, wollen sie sich nicht dem Vorwurf einer strafbaren Körperverletzung aussetzen. Die grundsätzliche Verbindlichkeit einer solchen Patientenverfügung wird seit langem von der Bundesärztekammer betont (Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung 1998 und 2004) und ist inzwischen auch vom Bundesgerichtshof (Entscheidung vom 17. März 2003) ausdrücklich anerkannt worden. Eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung fehlt allerdings bis heute. Eine Gesetzesinitiative zur Reichweite und Verbindlichkeit der Patientenverfügung wird nun von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages erwartet.

In der klinischen Praxis und der ambulanten Versorgung zeigen sich bis heute Schwierigkeiten im Umgang mit diesen Verfügungen. Die beiden Hauptprobleme, die auf der praktischen Ebene bisher nicht zufrieden stellend gelöst sind, beziehen sich

1. auf die medizinische und fachliche Beratung bei der Erstellung der Patientenverfügung/ Vorsorgevollmacht und
2. auf die Implementierung in die klinische und ambulante Versorgung.

Ohne eine praktikable Lösung dieser beiden Punkte wird die Vorsorgeplanung immer unnötige Lücken und Schwächen aufweisen, und es wird vermeidbare Probleme bei der vom Patienten gewünschten Umsetzung geben. An diesen unvollständigen Rahmenbedingungen kann der Einzelne jedoch selbst nur bedingt etwas ändern. Die Bürgerinnen und Bürger sind darauf angewiesen, dass innerhalb des Gesundheitswesens neue Strukturen geschaffen werden, die es ihnen überhaupt erst ermöglichen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.

An der Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität Gießen (Prof. Dr. Gabriele Wolfslast, Dr. Sonja Rothärmel) wurde gemeinsam mit dem Zentrum für Ethik in der Medizin im Markus-Krankenhaus, Frankfurt/M. (Dr. Kurt Schmidt) dieser Missstand aufgegriffen und Nachwuchswissenschaftler zu einer Klausurwoche in die Evangelische Akademie Arnoldshain/Taunus. eingeladen. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) diskutierten im Sommer 2006 insgesamt 13 (Post)-Doktoranden aus Europa mit 16 Experten aus Deutschland und den USA. Der Verlauf dieser interdisziplinären Taunus Summer-School ist in dem 114-seitigen Tagungsband "Vorausverfügen für das Lebensende" dokumentiert und nachzulesen (s.u.).

Eine These lautet, dass Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime in Zukunft von der Bevölkerung immer stärker daran gemessen werden, welche Strukturen sie entwickelt haben, um die im vorhinein getroffenen Entscheidungen des Patienten und dessen Wertvorstellungen auch dann zu respektieren, wenn er über die weitere Behandlung aktuell nicht mehr entscheiden kann. Eine hilfreiche Unterstützung kann hier nur gelingen, wenn die Vorsorgeplanung in ein Netzwerk eingebunden ist: Hausärzte und Pflegende aus der ambulanten Versorgung sind hieran ebenso zu beteiligen, wie z.B. der Sozialdienst und Mitglieder eines Betreuungsvereins; der behandelnde Arzt im Krankenhaus ebenso wie der Mitarbeiter im Pflegeheim. Die gelungene Vorsorgeplanung wird in Deutschland – so die Vision für das Jahr 2020 - auf mehreren Schultern verteilt sein. Wie dies gelingen kann, ohne Ärzten und Pflegenden uneinlösbare Anforderung aufzubürden, beschreibt zusätzlich die Broschüre "Wertvorstellung und Respekt" in kurzgefasster Form.

Dieser 12-seitige ›Leitfaden zur Implementierung von Patientenverfügung & Vorsorgevollmacht in die klinische und ambulante Versorgung‹ richtet sich an alle Akteure im Gesundheitswesen die bereit sind, hilfreiche Veränderungen anzustoßen und zu verwirklichen. Ziel des Leitfadens ist es, Verantwortliche in der Krankenhausleitung, in Alten- und Pflegeheimen, bei Krankenkassen und Ärzteverbänden knapp und gezielt Informationen zu vermitteln, wie sie hilfreich eine Netzwerkstruktur entwickeln können.

Diese Broschüre folgt dabei drei Leitgedanken:

1. das Ausfüllen der Patientenverfügung wird nicht mehr als punktuelles Ereignis verstanden, sondern als ein kontinuierlicher Prozess der Kommunikation und Kooperation;
2. sie gibt hilfreiche Anregungen zum Aufbau eines Netzwerkes zur Vorsorgeplanung;
3. sie stellt das Modell eines Seminars vor, wie Bürgerinnen und Bürger unter ärztlicher Beratung ihre Patientenverfügung erstellen können.

Quelle: Pressemitteilung vom 10.1.2007
http://www.medizinethik-frankfurt.de/texte.htm