Schweigen als Zustimmung: Nationaler Ethikrat legt Stellungnahme zur Steigerung der Organspenden vor
Berlin (ALfA). Am 24. April veroeffentlichte der Nationale Ethikrat seine Stellungnahme "Die Zahl der Organspenden erhoehen - Zu einem draengenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland" und loeste damit kurz vor seiner Aufloesung noch einmal eine heftige Debatte aus. Konkret schlaegt der Nationale Ethikrat ein so genanntes Stufenmodell vor. Nach Vorstellung der Ethikratsmitglieder sei der Staat verpflichtet, dafuer zu sorgen, dass die Buerger erstens in einem geregelten Verfahren zu einer persoenlichen Erklaerung darueber aufgefordert werden, ob sie zur Organspende bereit sind, und zweitens darueber informiert sind, dass die Organentnahme bei unterbliebener Erklaerung gesetzlich erlaubt ist, sofern die Angehoerigen ihr nicht widersprechen. Ferner empfiehlt der Nationale Ethikrat, durch geeignete gesetzgeberische Massnahmen dafuer zu sorgen, dass die Krankenhaeuser ihrer Pflicht zur Meldung potenzieller postmortaler Organspender in hoeherem Ausmass als bisher nachkommen. Darueber hinaus sei fuer eine ausreichende Erstattung der Kosten zu sorgen, die den Krankenhaeusern im Zusammenhang mit der Meldung und Versorgung potenzieller Organspender entstehen.
Organmangel sei ein chronisches Problem der Transplantationsmedizin in vielen Laendern, insbesondere auch in Deutschland. Die Hoffnung, das Transplantationsgesetz von 1997 werde zu einer Steigerung der Organspenden fuehren, habe sich nicht erfuellt. Es gebe Anhaltspunkte dafuer, dass die Gruende nicht nur in organisatorischen Defiziten des Gesundheitssystems liegen, sondern auch in der gesetzlichen Regelung, die die postmortale Organspende von der ausdruecklich erklaerten Zustimmung der Spender bzw. ihrer Angehoerigen abhaengig macht, so die Begruendung fuer den Vorstoss. Verfassungsrechtliche Bedenken fuer diese Regelung wurden nicht gesehen. Mit der vorgeschlagenen Regelung sollte ein Ausgleich gefunden werden "zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des potenziellen Organspenders, dem Wunsch nach Lebensrettung und Leidensminderung anderer Menschen sowie etablierten Prinzipien des Gesundheitssystems wie z. B. dem gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen."
Breite Kritik am Ethikrat-Vorschlag
Bei Fraktionsvertretern aller Parteien, einschliesslich der FDP, stiess der Vorschlag auf Unverstaendnis und breite Kritik. "Die Einschraenkung des Selbstbestimmungsrechtes bei der Organspende, wie sie vom Ethikrat jetzt vertreten wird, schadet dem Anliegen eher, als dass sie ihm nuetzt. Entscheidend ist, dass der Mensch auch ueber den Tod hinaus nicht zum Objekt gemacht wird, " erklaerte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, in einer Pressemitteilung vom selben Tag. Wer sich nicht ausdruecklich erklaert hat, dessen Zustimmung zur Organspende duerfe nicht einfach vorausgesetzt werden. Auch duerfe niemand zur Entscheidung gezwungen werden, brachte Kauder die Kritik auf den Punkt.
Auch die BundesAerztekammer lehnt den Vorschlag des Ethikrates zur Steigerung der Zahl der Organspenden ab. "Es muessen Aufklaerung und Information ueber die Moeglichkeit einer Organspende dringend verbessert und ausgeweitet werden. Gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt es nicht", sagte der Vorsitzender der Staendigen Kommission Organtransplantation der Bundesaerztekammer, Hans Lilie, der Passauer Neuen Presse. Zudem stellte er die Verfassungsmaessigkeit des Vorschlags in Frage.
Grundsaetzliche Kritik an der Arbeit des Nationalen Ethikrates und an der Aufklaerung ueber Organspende uebte der Sprecher der InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Bayern, Christian Frodl in einer Presseaussendung vom 26. April. Statt der vorgeschlagenen Radikalloesungen empfiehlt er eine vernuenftige Aufklaerung der Bevoelkerung, die in ausgewogener Form auch ueber die anderen Seiten der Transplantation, z.B. die Frage des Hirntodkriteriums als Todesfeststellung informiert. Zu diesem Zweck wurde ein umfangreiches Infoportal zur Organspende unter
http://www.organspende-aufklaerung.de eingerichtet, die dieses Defizit ausgleichen will. Denn nur wer umfassend informiert ist, koenne eine bewusste Entscheidung fuer oder gegen eine Organentnahme treffen. "Die Stellungnahme des Ethikrates macht deutlich, dass es Zeit wird, das Gremium endlich aufzuloesen", fasste Frodl seine Kritik zusammen.
Weitere Informationen:
Die Zahl der Organspenden erhoehen - Zu einem draengenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland
Stellungnahme des Nationalen Ethikrates
41 Seiten, veroeffentlicht 24.04.07
http://www.ethikrat.org/stellungnahmen/ ... mangel.pdf
Organspende - viel Kritik an Plan des Ethikrats
Vorschlag, keine eindeutige Ablehnung als Zustimmung zur Entnahme zu werten, findet bei Parteien und Aerzten kaum Zustimmung
Von Rainer Woratschka
TAGESSPIEGEL 26.04.2007
http://www.tagesspiegel.de/politik/arch ... 224692.asp
http://www.organspende-aufklaerung.de/
Kritische Informationen der InteressenGemeinschaften Kritische Bioethik Deutschland
zum Thema Organspende / Lebendspende / Transplantation / Hirntod
Quelle: ALfA-Newsletter 16/07 vom 27.04.2007