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von Lutz Barth » 27.07.2010, 17:24
Guten Tag, verehrter Thorstein. Ich habe meine kurzen Anmerkungen einfach mal in den kopierten Text eingefügt.
Sehr geehrter Herr Barth,
Zitat:
Ohne erkennbare Not bindet hier der BGH die Sorgfaltspflichten an "wirtschaftliche und personelle Zumutbarkeitskriterien"
Wenn es keine erkennbare Not gibt, warum tut es der BGH dann? Können sie das als Jurist einem Laien erklären? Oder haben sie eine Vermutung?
Nun, eine Erklärung habe ich nicht, zumal in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass im Zweifel auch sog. überobligatorische Pflichten begründet werden können und somit eine Pflichtenstatuierung über die Anforderungen im Haftungsrecht (vornehmlich im sog. Deliktsrecht §§ 823 ff. BGB) erfolgen kann, insbesondere in den Fällen, wenn und soweit das Risiko versicherbar ist (vgl. dazu etwa Mertens, Vorauflage MünchKomm zum BGB). Überdies könnte die Rechtsprechung auch ein Beleg dafür sein, dass das Haftungsrecht gelegentlich den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben folgt (ein Problem, das gleichermaßen bei den Pflegenden als auch Ärzten diskutiert wird).
Zitat:
Der Hintergrund dieser Diskussion kann sehr plastisch am Beispiel der "Aufsichtspflichten" resp. der "Sturzproblematik" nachvollzogen werden.
Das bezweifle ich, denn es ist schlichtweg unmöglich, einen Personalschlüssel zu definieren, der Stürze verhindert. Sehr wohl wäre es aber möglich, einen Personalschlüssel zu definieren, der z.B. Dekubiti, Dehydration oder Kontrakturen verhindert.
Nun - das sehe ich angesichts der Rechtsprechung des BGH anders; immerhin hat der BGH in den beiden zentralen Entscheidungen zur Sturzproblematik auf die Zumutbarkritierien hingewiesen. Andererseits hat der BGH in seiner älteren Rspr. betont, dass wirtschaftliche Überlegungen keine Rolle spielen, so dass gar im Zweifel die Einrichtung einer Sitzwache geboten ist. Kontrakturen können auch die Folge von Stürzen sein, wenngleich verschiedene Fallkonstruktionen denkbar wären (z.B. die Aufsicht resp. Betreuung bei fortgeschrittener Demenz).
Zitat:
da manchen Pflegerechtlern gelegentlich der Ruf von "Pflegerechtspäpsten" voraus eilt und naturgemäss sie den Anspruch erheben, gewissermaßen "unfehlbar" zu sein.
Auch wieder eine laienhafte Nachfrage: Pflegegerichte gibt es meines Wissens nicht. Ich nehme an, dass diese Leute Gutachten verfassen bei Zivilprozessen oder beim Sozialgericht? Gibt es denn von juristischer Seite, also von Pflegerechtlern, einen verwertbaren Kommentar oder auch nur eine Einschätzung, inwieweit die Personalschlüssel für eine angemessene Pflege ausreichen?
Ja - durchaus: Prominentester Vertreter hierzu dürfte Thomas Klie mit seinen Beiträgen zur Fachkraftquote sein.
Ist die laienhafte Frage, ob die Personalschlüssel möglicherweise grundgesetzwidrig sind, für Juristen irrelevant, uninteressant oder nicht karrierefördernd?
Nun - diese Frage wird natürlich so manchen Pflegerechtler irritieren, zumal ich in einem anderen Zusammenhang stehend die Auffassung vertrete, dass manche Pflegerechtler ihre Fahne in den ideologischen Wind einer Profession hängen und sofern es angebracht ist, durchaus vor einem anderen Publikum einen nicht nachvollziehbaren Positionswechsel vollziehen (vgl. dazu Barth, Standortbestimmung Pflege, in PflR 2007).
Dogmatisch sind freilich einige Hürden zu nehmen, da es zwar eine Drittwirkung von Grundrechte gibt, diese aber im Übrigen in erster Linie subjektive Abwehrrechte gegenüber den Staat, mal ganz davon abgesehen, dass hier zwei Vertragspartner verhandeln und das Ergebnis zunächst als Ausdruck der Verhandlung als "gerecht und ausgeglichen" bewertet wird.
Zitat:
Und hieran wird es scheitern und einen Generationenkonflikt heraufbeschören, der es in sich haben könnte.
Wir geben in Deutschland gerde einmal 0,9% des BSP für die Pflege aus, in skandinavischen Lndern ist es oft das Dreifache. Ich denke - da bin ich wohl Optimist - das in unserer Gesellschaft viel mehr Bereitschaft zur Solidarität vorhanden ist, als unsere Politiker vermuten.
Ich hoffe, dass Sie mit Ihrer These recht haben, auch wenn ich den Optimismus nicht teile; im Übrigen erscheint es ja nicht ausgeschlossen, dass aufgrund des demografischen Wandels der Konflikt weniger der mangelnden Solidarität der jüngeren Generation geschuldet ist, sondern ggf. aufgrund der Partizipationsmöglichkeiten der "Alten" an den politischen Entscheidungsprozessen - mit also aus demokratiepolitischer Sicht, zumal die "Alten" die Mehrheit stellen werden.
Zitat:
Auf den Punkt gebracht: Es muss mehr "Geld" ins System gepumpt werden, freilich unter der Voraussetzung, sog. Fehlallokationen zu vermeiden und Rationalisierungseffekte zu nutzen.
Wenn man mit System das Gesundheitssystem meint, dann teile ich diese Auffassung nicht. Es muss wohl viel mehr um eine Umverteilung innerhalb des Systems gehen.
Da gehe ich im ersten Schritt der Analyse mit Ihnen konform, würde aber die Frage weiter vertiefen wollen.
Zitat:
All das kostet "Geld" und da hilft weder ein bundesweites Aktionsbündnis Pflege oder sonstige Aktivitäten, sondern zunächst die Sicherstellung der Finanzierungsgrundlagen.
Wie schon angedeutet, halte ich das für ein ungerechtfertigtes Totschlagargument. Einige Lobbyisten im Gesundhaitssystem tanzen uns auf der Nase herum zocken Milliarden ab. Wie viele Krankenkassen brauchen wir, wie viele Apotheken, wie teuer sind bei uns Medikamente usw. usw. Warum ist ein Genarationskonflikt wahrscheinlicher als ein Aufstand gegen diese Geldverschwendung?
Smile, weil ich davon ausgehe, dass die Leidensfähigkeit unserer Zivilgesellschaft ungeheuer groß ist und das Engagement nur prozedural gebündelt werden kann, will heißen: Einflussnahme über Wahlentscheidungen.
Zitat:
Hierüber zu "jammern" hilft nicht wirklich weiter
Worin nun genau der Unterschied zwischen Jammern und Kritik üben besteht, wird sich mir wohl auch nicht erschliessen. Solange die Personalschlüssel unzureichend sind und die Menschen in den Heimen darunter leiden, werde ich das auch kritisieren. Wenn diese Kritik - wohl wegen der ständigen Wiederholung - von ihnen als Jammern diffamiert wird, muss ich wohl damit leben.
Selbstverständlich müssen die Zustände kritisiert werden, aber gelegentlich sollte "Butter bei die Fische gebracht werden", wie wir Norddeutsche zu sagen pflegen. Überdies ist unübersehbar, dass ich meine Kritik am "Jammern" in die allgemeine Kammerdebatte einbinde und zwar durchaus mit Bedacht: Die Berufsverbände begreifen schlicht nicht, dass ihnen mit dem Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft die Mobilität genommen wird und ihnen dadurch ein stückweit die "knallharte Interessenwahrnehmung" verwehrt bleibt, so wie wir seit Jahren bei den Landesärztekammern nachvollziehen können. Stellen Sie sich mal vor, jemand käme auf die Idee, im Zuge der Neuordnung der Pflegeberufe und der Verkammerung über eine "vertragspflegerische Versorgung" nach dem Vorbild der Ärzteschaft nachzudenken und als Modell zu favorisieren? Die Folgen wären gravierend und in der Konsequenz wohl eher nicht vorteilhaft.
Ich danke Ihnen für den konstruktiven Dialog und ich werde darüber intensiver nachdenken, ob aus der Verfassung sich ggf. Vorgaben für einen Personalschlüssel ableiten lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Lutz Barth
Wir vertreten nicht immer die herrschende Lehre!