Durchgangssyndrom und Freiheitsentziehung

Pflegespezifische Themen; z.B. Delegation, Pflegedokumentation, Pflegefehler und Haftung, Berufsrecht der Pflegeberufe

Moderator: WernerSchell

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Gast

Durchgangssyndrom und Freiheitsentziehung

Beitrag von Gast » 02.05.2005, 11:51

Intermittierende Fixierung

Es gilt als bekannt, dass bei Gefahr für den Patienten eine 24 Stunden-Fixierung ohne richterliche Verfügung möglich ist.
Wie verhält es sich, wenn diese Fixierung für 30 Minuten - 2 Stunden unterbrochen wurde? Gilt dann der Zeitraum jedesmal als neu begonnen?

Elisabeth

PS. Fragestellung am 6.5.2005 präzisiert - siehe dort!

Berti
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Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Berti » 02.05.2005, 18:17

Hallo Elisabeth,
auf Deine Frage kann nicht mit "so und nicht anders" geantwortet. Wenn es sich um eine Betreuungssituation handelt, findet § 1906 Abs. 4 BGB Anwendung (siehe unten).
Eine Fixierung ist immer nur mit Billigung des Rechtlichen Betreuers zulässig. Dieser muss sich die Fixierung vom Vormundschaftsgericht genehmigen lassen, wenn die Fixierung "länger andauert" oder "regelmäßig" erfolgt. Von exakt 24 Stunden ist hier nicht die Rede. Der Gesetzgeber hat hier einen gewissen Spielraum gelassen (es mag einmal dahingestellt bleiben, ob dies verfassungsrechtlich bedenklich ist). Eigentlich müßte es heißen, dass "bis zum Ablauf des folgenden Tages" eine Genehmigung vorliegen muss. Das zeigt schon, dass hier nicht genau auf Stunden abgestellt werden kann.
Wenn aber eine freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur unterbrochen, "gestückelt", wird, um damit eine eventuell erforderliche Genehmigung zu zunterlaufen, halte ich das nicht für zulässig - und letztlich nach § 239 StGB für strafbar.
Vielleicht wäre es nützlich, die konkrete Situation vor Ort näher zu erhellen. Dann könnte man besser argumentieren.
Gruß Berti

§ 1906 BGB - Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei der Unterbringung:
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.
(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzt voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

Gast

Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Gast » 03.05.2005, 14:36

Hallo Elisabeth,
in diesem Forum wurde wiederholt zur
Fixierung als freiheitsbeschränke Maßnahme
diskutiert. Siehe u.a. unter
http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... ;start=2#2
Zur konkreten Frage:
Ich bin mit Berti der Meinung, dass es notwendig wäre, den Sachverhalt ein wenig näher zu beleuchten (um welche Person handelt es sich und mit welchen Einschränkungen und Gefahren?, wer hat was aus welchen Gründen für notwendig erachtet? weshalb wurde die für notwendig befundene Fixierung gelockert? ging es darum, die einschlägigen Vorschriften zu unterlaufen oder gab es nachvollziehbare Gründe? usw.) Ggf. könnte konkreter diskutiert werden!
MfG
Dirk

Gast

Re: Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Gast » 04.05.2005, 10:42

Patient im Akutkrankenhaus
keine Akzeptanz des Pat. für diagnost. und therapeutische Maßnahmen aus unterschiedlichen Ursachen (Desorientierung, Demenz u.ä.)
Unterbrechung der Fixierung für pflegerische Maßnahmen wie die Körperpflege oder Essen reichen

Helfen diese Angaben weiter?

Elisabeth D

Gast

Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Gast » 04.05.2005, 11:43

(1) Patient im Akutkrankenhaus - keine Akzeptanz des Pat. für diagnost. und therapeutische Maßnahmen aus unterschiedlichen Ursachen (Desorientierung, Demenz u.ä.)
(2) Unterbrechung der Fixierung für pflegerische Maßnahmen wie die Körperpflege oder Essen reichen ...
Hallo Elisabeth,
(1) ich denke, dass, wenn noch nicht geschehen, eine Rechtliche Betreuung eingerichtet werden muss. Solange diese nicht besteht, müßte das Vormundschaftsgericht im Wege einer Eilentscheidung selbst eine Fixierung genehmigen. Eine solche Genehmigung erscheint mir erforderlich.
(2) Wenn eine Fixierung lediglich für Körperpflege und Essenseinnahme gelockert wird, sehe ich darin keine Unterbrechung im rechtlichen Sinne.
Nach dem bisher hier vorgestellten Sachverhalt muss von einer genehmigungspflichtigen Maßnahme ausgegangen werden.
Auf jeden Fall sollte das Gericht unter Darstellung des Sachverhalts informiert werden.
Alles Klar?
MfG
Dirk

Berti
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Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Berti » 04.05.2005, 12:06

Hallo Elisabeth,
ich möchte mich auch noch kurz melden und bemerken, dass ich die Einschätzungen von Dirk teile: Vormundschaftsgericht einschalten!
Gruß Berti

Gast

Re: Fixierung - unterbrochen und fortgesetzt!

Beitrag von Gast » 06.05.2005, 13:51

Vielen Dank für die Antworten. Es handelte sich bei der Beschreibung aber nicht um einen echten Pat. Ich wollte eigentlich eine Gruppe von Pat. beschreiben, Beispiel: Durchgangssyndrom.
Bleibt es dann dabei, dass ein Betreuer organisiert werden muss?
Wie steht es, wenn Angehörige (keine richterlich erhobene Betreuer) ggf. schriftlich in die Fixierungsmaßnahme einwilligen?
Gibt es auch eine richterliche Verfügung zur Fixierung ohne Einsetzung von Betreuern?
Ein Bettgitter wird als Mobilitätshilfe einegsetzt (Pat. kann sich besser allein zur Seite drehen)- ist dann ein Fixierungsprotokoll notwendig? Pat. wünscht selbst ein Bettgitter: Fixierungsprotokoll notwendig?

Fragen über Fragen über die Grauzone Fixierung im Alltag.

Elisabeth

Berti
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Durchgangssyndrom und Freiheitsentziehung

Beitrag von Berti » 06.05.2005, 14:10

... (1) Es handelte sich bei der Beschreibung aber nicht um einen echten Pat. Ich wollte eigentlich eine Gruppe von Pat. beschreiben, Beispiel: Durchgangssyndrom. (2) Bleibt es dann dabei, dass ein Betreuer organisiert werden muss?
(3) Wie steht es, wenn Angehörige (keine richterlich erhobene Betreuer) ggf. schriftlich in die Fixierungsmaßnahme einwilligen?
(4) Gibt es auch eine richterliche Verfügung zur Fixierung ohne Einsetzung von Betreuern?
(5) Ein Bettgitter wird als Mobilitätshilfe eingesetzt (Pat. kann sich besser allein zur Seite drehen)- ist dann ein Fixierungsprotokoll notwendig? (6) Pat. wünscht selbst ein Bettgitter: Fixierungsprotokoll notwendig? ....
Hallo Elisabeth,
die jetzt näher bezeichneten Fälle machen deutlich, dass es eigentlich immer notwendig ist, anhand konkreter Situationen zu diskutieren:
(1) Wenn jemand an einem Durchgangssyndrom leidet, kann es sein, dass er nur „verwirrt“ reagiert und überhaupt keinen Willen in Bezug auf Freiheit entwickeln kann. In solchen Fällen können / müssen sichernde Maßnahmen aus therapeutischen Gründen ergriffen werden, ohne dass hierin eine Freiheitsbeeinträchtigung gesehen werden kann. Der Einzelfall muss aber genau beleuchtet werden. Man kann übrigens auch mit Patienten, z.B. vor einer Operation, bezüglich eines möglichen Durchgangssyndroms Vereinbarungen treffen, wie ggf. zu verfahren ist. Dann liegt ein Patientenwille vor, der die rechtlichen Probleme wahrscheinlich allesamt entfallen lässt.
(2) Für ein kurzfristiges Durchgangssyndrom wird wahrscheinlich ein Rechtlicher Betreuer nicht bestellt werden müssen. Ggf. zu treffende Entscheidungen kann das Vormundschaftsgericht ggf. immer verfügen. Eine Abklärung mit dem Gericht erscheint anhand der Einzelumstände sinnvoll.
(3) Angehörige sind nicht zur rechtlichen Vertretung befugt. Ihre Entscheidungen sind rechtlich nicht relevant. Allerdings können Angehörige u.U. Hinweise dazu vermitteln, wie der mutmaßliche Wille eines Patienten gedeutet werden kann.
(4) Das Vormundschaftsgericht kann in Eilfällen alle notwendigen Entscheidungen auch ohne Betreuer selbst verfügen. Dazu ist das Gericht nach dem BGB ausdrücklich ermächtigt. Die Gerichte gehen aber zum Teil sehr zurückhaltend mit dieser Ermächtigung um. Richter sind auch nur Menschen und „drücken sich gelegentlich“.
(5) Ein Bettgitter, das als therapeutische Hilfe mit Billigung / Wunsch des (einsichtsfähigen) Patienten eingesetzt wird, ist rechtlich keine Freiheitsentziehung und insoweit rechtlich unproblematisch.
Gruß Berti

Gast

Re: Durchgangssyndrom und Freiheitsentziehung

Beitrag von Gast » 06.05.2005, 19:44

Ist mir zwar jetzt peinlich, aber ich möchte für mich das noch einmal klären:

Wenn ein Pat. infolge seiner Erkrankung nicht einsichtsfähig ist (Beispiel: Durchgangssyndrom, Delir), dann darf eine Fixierung ohne Zeitbemessung erfolgen. Es reicht aus, dass der Arzt feststellt, dass ein solcher Zustand vorliegt und in wenigen Tagen vorrüber gehen wird. Ein richterlicher Beschluß ist nicht notwendig. Die Fixierung kann auf Anordnung des Arztes erfolgen. Die Anordnung müßte regelmäßig wiederholt werden.

Wenn ein Betreuer vorhanden ist, entscheidet dieser über Fixierungsmaßnahmen im Bedarfsfall bei Patienten z.B. mit einer Demenz, die nicht krankheitseinsichtig sind.

Beim Einsatz eines Bettgitters bei einem einsichtigen Pat. kann auf ein Fixierungsprotokoll verzichtet werden.

Hab ich das jetzt richtig verstanden?

Elisabeth

Berti
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Fixierung, Bettgitter & Co. - Freiheitsentzieh

Beitrag von Berti » 06.05.2005, 21:10

Hallo Elisabeth,

es ist schwierig, anhand von abstrakten und nur kurz beschriebenen Situationen zu diskutieren.
„Maßnahmen, die ausschließlich der Sicherung eines sich nicht willentlich fortbewegungsfähigen Betroffenen gelten – beispielsweise das Bettgitter bei einem komatösen Betroffenen, sind keine freiheitsentziehenden Maßnahmen i.S.d. § 1906 Abs. 4 BGB“ (Zitat aus Hoffmann/Klie „Freiheitsentziehende Maßnahmen“, siehe hierzu unter http://www.wernerschell.de/Aktuelles/fr ... nahmen.htm). In solchen Fällen bedarf es keiner gerichtlichen Genehmigung.

Liegt eine freiheitsentziehende Maßnahme hingegen vor, dann muss, wie beschrieben verfahren werden. Eine solche Maßnahme muss medizinisch notwendig und angeordnet sein, ggf. wiederholt. Patient oder Betreuer müssen einverstanden sein. Im Falle einer Betreuung muss zusätzlich das Gericht genehmigen (§ 1906 Abs. 4 BGB). Alles muss sorgfältig dokumentiert werden. Siehe auch unter http://www.wernerschell.de/cgi-bin/foru ... ;start=2#2 (Hinweis von Dirk).
Siehe auch die Buchveröffentlichung „Betreuungsrecht und Unterbringungsrecht ( http://www.wernerschell.de/html/page10.htm ).

Siehe im übrigen den Beitrag zum
Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. Juni 1993 - 15 W 145/93.
Dieser Beschluss befasst sich mit der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit von Fixierungsmaßnahmen bei altersverwirrten HeimbewohnerInnen. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob das nachts bei einer Heimbewohnerin angebrachte Bettgitter sowie der am Tag angelegte Bauchgurt beim Sitzen im Rollstuhl der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen.
Fundstelle: http://www.seniorentreff.de/koeln/server1/recht006.htm
Hier wird allgemein über Fixierungen referiert. Siehe auch unter
http://neu.kdvz.de/hsk/probuerger/getfile.cfm?id=f87
http://www.aktuelle-pflege.de/Bett.htm
http://66.102.9.104/search?q=cache:wOIZ ... ahme&hl=de

Gruß Berti

Anja_Mueller
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Registriert: 20.07.2003, 10:19

Bettgitter & Co. - Erforderlichkeit maßgeblich

Beitrag von Anja_Mueller » 07.05.2005, 12:58

.... Wenn ein Pat. infolge seiner Erkrankung nicht einsichtsfähig ist (Beispiel: Durchgangssyndrom, Delir), dann darf eine Fixierung ohne Zeitbemessung erfolgen. .... Wenn ein Betreuer vorhanden ist, entscheidet dieser über Fixierungsmaßnahmen im Bedarfsfall bei Patienten z.B. mit einer Demenz, die nicht krankheitseinsichtig sind. .... Beim Einsatz eines Bettgitters bei einem einsichtigen Pat. kann auf ein Fixierungsprotokoll verzichtet werden.
...
Hallo Elisabeth,

ich möchte noch mal einige Deiner Anmerkungen aufgreifen:
Eine Fixierung darf nur dann erfolgen, wenn sie zur Gefahrenabwehr geboten ist. Die Dauer richtet sich allein nach der Erforderlichkeit. Das muss im Einzelfall medizinisch / pflegerisch mit Sorgfalt eingeschätzt werden.
Wenn ein Rechtlicher Betreuer eingesetzt ist, hat er immer die Entscheidungskompetenz - er muss sich dann um die richterlicher Genehmigung kümmern.
Wenn der Patient selbst einwilligungsfähig ist und ein Bettgitter genehmigt hat, muss das natürlich auch schriftlich festgehalten werden. Alles was wichtig ist muss dokumentiert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Anja Müller

Gast

Fixierung und Verkehrssicherungspflicht

Beitrag von Gast » 15.05.2005, 13:03

Fixierung und Verkehrssicherungspflicht steht Freiheitsrechten der Betroffenen gegenüber:

Die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Fixierung verlangt die sorgfältige Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalles und hat die Freiheitsrechte eines alten und kranken Menschen ebenso zu berücksichtigen wie seinen Anspruch auf Schutz des Lebens und seiner körperlichen Unversehrtheit. Pflegeheime haben grundsätzlich die Entscheidung eines gesetzlichen Rechtlichen Betreuers zu respektieren.

Urteil des OLG Koblenz vom 21. März 2002 - Aktenzeichen: 5 U 1648/01 -

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