Frage nach der Schwerbehinderung ...

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Frage nach der Schwerbehinderung ...

Beitrag von Presse » 16.02.2012, 18:28

Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis


Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist jedenfalls nach sechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.
Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit dem 1. November 2007 in einem bis zum 31. Oktober 2009 befristeten Arbeitsverhältnis. Am 8. Januar 2009 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellt. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbat der Beklagte in einem Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der ihm vorliegenden Daten ua. Angaben zum Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten. Der Kläger verneinte seine Schwerbehinderung. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Beklagte als Insolvenzverwalter am 26. Mai 2009 dem Kläger zum 30. Juni 2009.
Der Kläger, der in der Klageschrift vom 9. Juni 2009 seine Schwerbehinderung mitgeteilt hat, hält die Kündigung vom 26. Mai 2009 für unwirksam, weil das Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe. Das Arbeitsgericht ist dem gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat dagegen angenommen, der Kläger könne sich auf den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte nicht berufen, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung steht im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Sie soll es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Die Frage diskriminiert behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderung. Auch datenschutzrechtliche Belange stehen der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen. Infolge der wahrheitswidrigen Beantwortung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seiner Schwerbehinderung ist es dem Kläger unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzprozess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 30. Juni 2010 - 2 Sa 49/10 -

Quelle: Pressemitteilung vom 16.02.2012
Bundesarbeitsgericht
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WernerSchell
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Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber Arbeitgeber

Beitrag von WernerSchell » 13.11.2017, 07:23

Kein Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber Arbeitgeber bei Offenkundigkeit der Schwerbehinderung

Urteil des LAG Rheinland-Pfalz, l vom 12.01.2017 -5 Sa 361/16 -

Ein Arbeitnehmer muss seine Schwerbehinderteneigenschaft dann nicht gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen und die Feststellung eines Grads der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren offenkundig ist.

Aus den Gründen:
In dem zugrunde liegenden Fall beabsichtigte ein 72-jähriger Geschäftsführer eines Betriebs zur Herstellung von Fenstern, Türen und Fassaden aus Aluminium im April 2014 seinen Betrieb zu schließen. Dies hatte seinen Grund darin, dass die wirtschaftliche Lage des Betriebs nicht gut war und der Betrieb seit Jahren keinen Gewinn mehr abwarf. Eine Besserung war nicht in Sicht. Zum anderen fand der Geschäftsführer keinen Nachfolger und konnte den Betrieb auch nicht verkaufen. Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur, sprach er noch im April 2014 ordentliche Kündigungen aus. Einer der Arbeitnehmer war damit aber nicht einverstanden und erhob daher Kündigungsschutzklage. Er führte an schwerbehindert zu sein, so dass die Kündigung nicht ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes hätte ausgesprochen werden dürfen. Der Arbeitgeber führte an, nichts von der Schwerbehinderung gewusst zu haben. Tatsächlich erkannte das Versorgungsamt erst im Mai 2014 beim Arbeitnehmer einen Grad der Behinderung von 50 an. Dies hielt der Arbeitnehmer für unbeachtlich, da seine Schwerbehinderung schon vorher offenkundig gewesen sei. Das Arbeitsgericht Koblenz wies die Klage ab. Dagegen richtete sich die Berufung des Arbeitnehmers.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies daher die Berufung des Arbeitnehmers zurück. Die ordentliche Kündigung habe nicht der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX bedurft. Denn der Arbeitnehmer genoss zum Kündigungszeitpunkt keinen Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch. Das Versorgungsamt erkannte eine Schwerbehinderung erst im Mai 2014 und somit nach Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung an.
Die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers sei zum Kündigungszeitpunkt nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht offenkundig gewesen. Zwar sei der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber entbehrlich, wenn die Schwerbehinderung offenkundig sei. Dabei müsse jedoch nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde. Daran habe es hier gefehlt. Der Arbeitnehmer habe nicht dargelegt, dass seine Beeinträchtigungen so erheblich waren oder sind, dass sie auch vom Arbeitgeber ohne sozialmedizinische Vorbildung als offensichtliche Schwerbehinderung wahrzunehmen und einzustufen seien.
Die betriebsbedingte Kündigung sei aus Sicht des Landesarbeitsgerichts sozial gerechtfertigt.

Quelle: Mitteilung vom 13.11.2017
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
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