Arbeitszeiterfassung vorgeschrieben - Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stärker in den Fokus zu nehmen

Arbeits- und Arbeitsschutzrecht, Allgemeine Rechtskunde (einschließlich Staatsrecht), Zivilrecht (z.B. Erbrecht)

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Arbeitszeiterfassung vorgeschrieben - Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stärker in den Fokus zu nehmen

Beitrag von WernerSchell » 26.05.2019, 16:06

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Quelle: https://www.dgb.de/presse/++co++5bb4337 ... 540088cada

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Quelle: DGB/zerbor/123rf.com

Zeiterfassung vorgeschrieben

Urteil des EuGh vom 14. Mai 2019, C-55/18
> http://curia.europa.eu/juris/document/d ... rst&part=1

Die Mitgliedstaaten müssen die Arbeitgeber verpflichten, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann

Aus den Gründen:

Die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) erhob vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Deutsche Bank SAE, ein System zur Erfassung der von deren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Sie vertritt die Auffassung, dass mit diesem System die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit und der in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verpflichtung, den Gewerkschaftsvertretern die Angaben über die monatlich geleisteten Überstunden zu übermitteln, überprüft werden könne. Nach Auffassung der CCOO ergebe sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Registrierungssystems nicht nur aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, sondern auch aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und der Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung). Die Deutsche Bank macht geltend, der Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) lasse sich entnehmen, dass das spanische Recht keine solche allgemeingültige Verpflichtung vorsehe. Nach dieser Rechtsprechung schreibe das spanische Gesetz nämlich, sofern nichts anderes vereinbart worden sei, nur die Führung einer Aufstellung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Zahl dieser Überstunden zum jeweiligen Monatsende an die Arbeitnehmer und ihre Vertreter vor.
Die Audiencia Nacional hegt Zweifel an der Vereinbarkeit der Auslegung des spanischen Gesetzes durch das Tribunal Supremo mit dem Unionsrecht und hat den Gerichtshof dazu befragt. Dem Gerichtshof vorgelegten Informationen zufolge werden 53,7 % der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst. Darüber hinaus halte es das spanische Ministerium für Beschäftigung und soziale Sicherheit zur Feststellung, ob Überstunden geleistet worden seien, für erforderlich, die Zahl der gewöhnlich geleisteten Arbeitsstunden genau zu kennen. Die Audiencia Nacional weist darauf hin, dass mit der Auslegung des spanischen Rechts durch das Tribunal Supremo zum einen die Arbeitnehmer ein wesentliches Beweismittel, mit dem sie dartun könnten, dass ihre Arbeitszeit die Höchstarbeitszeit überschritten habe, und zum anderen ihre Vertreter die erforderlichen Mittel für die Überprüfung der Achtung der in dem Bereich anwendbaren Regeln verlören. Daher könne das spanische Recht nicht die tatsächliche Einhaltung der in der Arbeitszeitrichtlinie und der Richtlinie über die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeit (Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit) vorgesehenen Verpflichtungen gewährleisten.
Mit seinem Urteil erklärt der Gerichtshof, dass diese Richtlinien im Licht der Charta einer Regelung entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
Der Gerichtshof weist zunächst auf die Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hin, das in der Charta verbürgt ist und dessen Inhalt durch die Arbeitszeitrichtlinie weiter präzisiert wird. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass den Arbeitnehmern die ihnen verliehenen Rechte zugutekommen, ohne dass die zur Sicherstellung der Umsetzung der Richtlinie gewählten konkreten Modalitäten diese Rechte inhaltlich aushöhlen dürfen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegt.
Der Gerichtshof stellt fest, dass ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann, weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden kann, so dass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich ist, ihre Rechte durchzusetzen.
Die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ist nämlich für die Feststellung, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit einschließlich der Überstunden sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten eingehalten worden sind, unerlässlich. Der Gerichtshof vertritt daher die Auffassung, dass eine Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, von einem Instrument Gebrauch zu machen, das diese Feststellung ermöglicht, die nützliche Wirkung der von der Charta und von der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Rechte nicht gewährleistet, da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden. Eine solche Regelung könnte daher das Ziel der Richtlinie, das darin besteht, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen, gefährden, und zwar unabhängig von der nach dem nationalen Recht vorgesehenen wöchentlichen Höchstarbeitszeit. Dagegen bietet ein Arbeitszeiterfassungssystem den Arbeitnehmern ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu gelangen, und erleichtert dadurch sowohl den Arbeitnehmern den Nachweis einer Verkennung ihrer Rechte als auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte.
Um die nützliche Wirkung der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

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EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung - Aufforderung, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stärker in den Fokus zu nehmen

(Quelle: DGUV) Zum Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung erklärt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Professor Dr. Joachim Breuer:
"Nicht die Erfassung der Arbeitszeit ist das eigentliche Problem, sondern der Umgang mit der Arbeitszeit. Überlange Arbeitszeiten erhöhen das Unfallrisiko und schaden der Erholungsfähigkeit. Das ist wissenschaftlich belegt. Es ist daher zu begrüßen, wenn das Urteil des EuGH dazu führt, dass Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stärker in den Fokus rücken. Das Wissen über die geleistete Arbeitszeit verbessert die Grundlage, auf der Führungskräfte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ins Gespräch über die Arbeitsdauer kommen können. Insbesondere betrifft dies jene Beschäftigte, die im Home Office arbeiten, Vertrauensarbeitszeit haben oder von denen man weiß, dass sie zu Überstunden neigen.
Die gesetzliche Unfallversicherung bietet den Betrieben im Rahmen ihrer Kampagne "kommmitmensch" (> http://www.dguv.de/cmsbs-restproxy/t/nl ... h=&i=7hwki ) verschiedene Instrumente an, die diesen Dialog befördern können. Damit lassen sich Ursachen für überlange und ungesunde Arbeitszeiten finden und Gegenmaßnahmen entwickeln, die zum jeweiligen Betrieb passen - denn nur dann haben solche Maßnahmen auch Aussicht auf Erfolg. Die große Herausforderung besteht darin, Sicherheit und Gesundheit in der Führung zu leben, ohne dabei die Flexibilität zu opfern, die zahllosen Menschen in diesem Land erlaubt, Familie und Beruf besser zu vereinbaren."

Quelle: Mitteilung vom 20.05.2019
Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rheinland-Westfalen-Lippe
Beratgerstraße 36
44149 Dortmund
Tel.: 0231/ 579743
Fax: 0231/ 579754
E-Mail: info@vkm-rwl.de

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Europäischer Gerichtshof - Zeiterfassung ist Pflicht
Firmen in der EU müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen. Laut EuGH müssen Mitgliedsstaaten dafür entsprechende Gesetze schaffen. So sollen Verstöße gegen die EU-Arbeitszeitrichtlinie verhindert werden.
Arbeitgeber sollen nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Alle EU-Staaten müssten dies durchsetzen, entschieden die obersten EU-Richter in Luxemburg. ... > https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eu ... n-101.html
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WernerSchell
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EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung vollständig umsetzen

Beitrag von WernerSchell » 26.05.2019, 16:12

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Pressemitteilung vom 26. Mai 2019

135. Hauptversammlung
EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung vollständig umsetzen
Einhaltung von Höchstgrenzen und Ruhezeiten setzt objektive und verlässliche Arbeitszeiterfassung voraus


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Marburger Bund fordert Umsetzung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung
Quelle: https://www.marburger-bund.de/bundesver ... g-umsetzen

Der Marburger Bund fordert die Bundesregierung und die Fraktionen im Deutschen Bundestag dazu auf, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeiterfassung vollständig und verbindlich in geltendes nationales Recht umzusetzen. Die Arbeitszeit von Ärztinnen und Ärzten sei – wie im aktuellen Tarifabschluss mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) bereits vereinbart – systematisch und objektiv zu erfassen, heißt es in einem Beschluss der 135. Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft.

Der Gerichtshof hat in seinem Urteil die Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie tägliche und wöchentliche Ruhezeiten unter anderem aus der Grundrechte-Charta der Europäischen Union abgeleitet. Für die Feststellung, ob Höchstgrenzen und Ruhezeiten eingehalten worden sind, sei die objektive und verlässliche Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit unerlässlich, urteilte der EuGH.

„Der Europäische Gerichtshof führt Selbstverständliches aus: Nur wenn die Arbeitszeit objektiv dokumentiert wird, kann auch verlässlich geprüft werden, ob Höchstgrenzen tatsächlich eingehalten wurden. Ich halte daher das Gerede vom angeblichen Bürokratie-Monster, das jetzt von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und anderen Arbeitgebervertretern bemüht wird, für vorgeschoben“, sagte Rudolf Henke, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes.

Mit der jüngsten Tarifvereinbarung für die Ärzte in kommunalen Krankenhäusern beweise der Marburger Bund, dass es keine Frage der Bürokratie sei, die Arbeitszeit zu erfassen, sondern eine schiere Notwendigkeit, um Arbeitszeit-Exzesse zu unterbinden. An die Arbeitgeberverbände gerichtet, sagte der MB-Bundesvorsitzende: „Wer Selbstverständlichkeiten wie eine vollständige Erfassung von geleisteter Arbeit in Frage stellt und Grenzen der Höchstbelastung missachtet, spielt mit der Gesundheit seiner Beschäftigten.“
_________________________________________
Marburger Bund Bundesverband
Referat Verbandskommunikation
Hans-Jörg Freese (Pressesprecher)
Tel.: 030/746846-41
Handy: 0162/2112425
presse@marburger-bund.de
http://www.marburger-bund.de
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Arbeitszeit muss konsequent aufgezeichnet werden

Beitrag von WernerSchell » 14.01.2020, 18:39

Arbeitszeit muss konsequent aufgezeichnet werden

Gabriele Hiller-Ohm, zuständige Berichterstatterin:

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ein Gutachten zur Umsetzung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung vom 14. Mai 2019 in Auftrag gegeben, um einen möglichen gesetzlichen Handlungsbedarf zu prüfen. Das Gutachten zeigt nun, dass das deutsche Arbeitsrecht den Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinien nicht genügt und formuliert einen konkreten gesetzlichen Handlungsbedarf.
"Die SPD-Bundestagfraktion begrüßt das Ergebnis der Studie und die damit zusammenhängende Stärkung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Durch die Schaffung eines einfachen, objektiven und verlässlichen Systems kann in Zukunft sichergestellt werden, dass Arbeitszeit korrekt erfasst wird. Das schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sichert deren Recht auf die Einhaltung der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten.
Durch die Digitalisierung ist unsere Arbeitswelt in einem ständigen Wandel. Gerade in Zeiten ständiger Erreichbarkeit, neuen Arbeitsformen und flexibleren Arbeitszeiten ist es wichtig, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu stärken. Denn die Flexibilisierung der Arbeitswelt darf nicht bedeuten, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit verschwinden. Eine Aufzeichnungspflicht garantiert deshalb faire Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten."

Quelle: Pressemitteilung vom 14.01.2020
V.i.S.d.P. Herausgeber Carsten Schneider MdB, Redaktion Ali von Wangenheim
TELEFON (030) 227-522 82 / (030) 227-511 18 TELEFAX (030) 227-568 69
E-MAIL presse@spdfraktion.de
www.spdfraktion.de
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Die komplette Pressemitteilung finden Sie hier:
http://www.spdfraktion.de/presse/presse ... gezeichnet
Die komplette Pressemitteilung als PDF:
http://www.spdfraktion.de/node/4668929/pdf


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