Bundesverfassungsgericht: Handeln eines Abtreibers darf nicht als „Mord“ und „Babycaust“ bezeichnet werden
Karlsruhe (ALfA). Das Bundesverfassungsgericht hat am 22. Juni 2006 die Verurteilung von Abtreibungsgegnern wegen Beleidigung bestaetigt. Damit folgten die Richter in Teilen einem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgericht (OLG). Dies geht aus einer Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom selben Tag hervor.
Hintergrund des Urteils (Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76)) ist die Aktion zweier Abtreibungsgegner, die im Oktober 1997 Flugblaetter auf einem Klinikgelaende in Nuernberg verteilten, auf denen namentlich ein Mediziner fuer Frauenheilkunde und Geburtshilfe angeprangert wurde, der seine auf Schwangerschaftsabbrueche spezialisierte Praxis als rechtlich selbstaendigen Betrieb auf dem Gelaende des Klinikums fuehrt. Auf der Rueckseite des Flugblatts hiess es unter anderem: „Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoss auf dem Gelaende des Klinikums, damals: Holocaust – heute: Babycaust“. Im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits habe der Arzt die beiden Abtreibungsgegner auf Unterlassung der Verbreitung der Aussagen auf dem Flugblatt verklagt. Das Oberlandesgericht habe dem Unterlassungsanspruch nicht stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte nun jedoch ueberwiegend Erfolg.
Nach Sicht des Bundesverfassungsgerichts habe das Oberlandesgericht im Rahmen des Unterlassungsbegehrens auch die fuer die Angeklagten unguenstigere Auslegung ihrer Worte zu Grunde legen muessen, naemlich die, dass „Mord“ im rechtstechnischen Sinne zu verstehen war. Dasselbe gelte fuer den gegen den Arzt gerichteten Vergleich zwischen nationalsozialistischem Holocaust und dem ihm angelasteten „Babycaust“. Auch dies sei eine mehrdeutige Aeusserung, die nicht nur als Vorwurf einer verwerflichen Massentoetung menschlichen Lebens verstanden werden konnte, sondern ebenso im Sinne einer unmittelbaren Gleichsetzung von nationalsozialistischem Holocaust und der als „Babycaust“ umschriebenen Taetigkeit des Arztes. Grundsaetzlich habe bei mehrdeutigen Aussagen zwar die Meinungsfreiheit Vorrang vor dem Persoenlichkeitsrecht des Betroffenen. Sofern sich die Klage aber gegen die Wiederholung von Vorwuerfen richte wie im vorliegenden Fall, sei es dem Urheber zuzumuten, Mehrdeutigkeiten zu vermeiden.
Das Bundesverfassungsgericht habe weiters festgestellt, dass die Verurteilung der Abtreibungsgegner wegen Beleidigung des Arztes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings muesse das Landgericht Nuernberg-Fuerth den Fall erneut pruefen, weil es, aus Sicht der Bundesverfassungsrichter zu Unrecht, dem Urteil nicht nur eine Beleidigung des Arztes, sondern auch der Kliniktraegerin zu Grunde gelegt hatte. Hier haette das Gericht klaeren muessen, ob sich die Aeusserung auf die Kliniktraegerin oder auf die im Klinikum taetigen Einzelpersonen bezogen habe, da beide Formen der Beleidigung unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Begruendungsanforderungen unterliegen. Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Mehrdeutigkeit vorliegt, muesse es die fuer die Beschuldigten guenstigere Deutung der strafrechtlichen Beurteilung zu Grunde legen.
Weitere Informationen:
Beschluss BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Absatz-Nr. (1 - 76), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk2 ... 04900.html
Quelle: ALfA-Newsletter 23/06 vom 24.06.2006
Abtreiben ist nicht "Mord" und Babycaust"
Moderator: WernerSchell
Abtreibungen von Ärzten kein Mord
Abtreibungsgegner darf Abtreibungen von Ärzten, die er auf seiner Internetseite namentlich aufführt, nicht mehr als Mord bezeichnen
Der Kläger ist ein niedergelassener Gynäkologe, der auch legale Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Der Beklagte ist Abtreibungsgegner und betreibt im Internet unter der Domain „ http://www.babycaust.de " eine Website. Über die Rubrik „Grundsätzliches" auf der Website erreicht man eine Seite, auf der von einem „Holocaust im Mutterschoß" die Rede ist. Über die Rubrik „Leben oder Tod?" gelangt man zu einer Seite, die die Überschrift „Gebetsanliegen für Deutschland" trägt. Von hier aus kommt man durch Anwahl von Buchstaben zu einer umfangreichen, alphabetisch geordneten Liste, in der für zahlreiche Orte in Deutschland Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, mit Namen und Anschrift genannt sind, unter ihnen der Kläger. Unter „Deutsche Zeitgeschichte in Kurzform" heißt es auf der Seite: „Pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrag der Mutter die ungeborenen Kinder". Über einen Button gelangt man auf eine Seite, auf der es heißt: „Beten Sie, wenn möglich regelmäßig, für die Mediziner... welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen...".
Der Kläger wendet sich gegen die Aufführung seines Namens, weil er durch den Inhalt der Website indirekt als „Mörder" bezeichnet werde. Dadurch werde sein Persönlichkeitsrecht verletzt.
Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, er bezeichne zwar Abtreibung als Mord, nicht aber Ärzte, die Abtreibungen durchführten, als Mörder. Seine Website sei einem umfassenden Kampf des Lebensrechts gewidmet und beschäftige sich nicht nur mit dem Thema Abtreibung, sondern auch mit der Euthanasie und dem Holocaust. Daher werde es seinem Anliegen nicht gerecht, wenn der Kläger einzelne Zitate herausgreife und auf sich beziehe.
Das Landgericht Mannheim hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Karlsruhe hatte Erfolg.
Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, auf seiner Internetseite Abtreibungen, wie sie von dem auf der Internetseite namentlich genannten Kläger vorgenommen werden, als „Mord" zu bezeichnen.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt: Der Beklagte fordert auf seiner Website dazu auf, für Mediziner, die Abtreibungen vornehmen, zu beten, und spricht in diesem Zusammenhang vom „MORD der Abtreibungstötung". Zugleich stellt er eine Liste mit Namen und Anschriften von Kliniken und Ärzten zur Verfügung, die dem konkreten Gebetsanliegen dienen soll. Auf einer anderen Seite, von der aus man gleichfalls zu dieser Liste gelangt, findet sich u. a. die Aussage, „pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrage der Mütter die ungeborenen Kinder". Der damit hergestellte Zusammenhang zwischen der Aufforderung zum Gebet und der Liste wird von den Benutzern der Website dahin verstanden, dass der Kläger Abtreibungen durchführt und damit Handlungen, die der Beklagte als Mord bezeichnet.
Der Begriff „Mord" in diesem Zusammenhang erlaubt zwar mehrere Deutungen. Es ist denkbar, dass „Mord" hier nicht im rechtstechnischen Sinn zur Bezeichnung eines besonders schwerwiegenden, mit der Höchststrafe belegten Tötungsdelikts zu verstehen ist, sondern lediglich die Vornahme einer Abtreibung als moralisch verwerfliche Tötung des Embryos bewertet werden soll. Es ist aber auch eine Deutung dahin möglich, dass gegen die in der Liste aufgeführten Personen der schwerwiegende und gegen sie persönlich gerichtete Vorwurf einer unmittelbaren Beteiligung an Morden erhoben werden soll. Die Begründung der Aufforderung zum Gebet, nämlich dass die betreffenden Personen sich den Mord der Abtreibungstötung vornehmen, der fehlende Hinweis auf die Straffreiheit einer Abtreibung, die den gesetzlichen Anforderungen genügt, die Ausführung, pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrage der Mütter die ungeborenen Kinder, der vielfache Vergleich von Abtreibungen mit der Vernichtung von Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus sprechen für die zweite Deutung; vereinzelt gebrauchte Formulierungen vom „straffreien Mord im Mutterschoß" genügen nicht, um die diese Deutung auszuschließen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der rechtlichen Beurteilung eines in die Zukunft gerichteten Anspruchs auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts nicht allein die dem Äußernden günstige Deutung zugrunde zu legen. Führt eine der Deutungsmöglichkeiten zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers, ist es demjenigen, der die Äußerung aufgestellt hat, zuzumuten, die Persönlichkeitsverletzung mit Wirkung für die Zukunft durch eine Klarstellung auszuräumen, wenn er die Äußerung nicht so gedeutet wissen will. Nachdem der Beklagte eine entsprechende Klarstellung nicht vorgenommen hat, war er zur Unterlassung zu verurteilen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2007 - 6 U 98/06 -
Quelle: Pressemitteilung vom 12.7.2007
Oberlandesgericht Karlsruhe
http://www.olgkarlsruhe.de/servlet/PB/m ... OT=1180141
Siehe auch unter
Abtreibungen durch Ärzte dürfen nicht als Mord bezeichnet werden
Ärzte, die legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen von Abtreibungsgegnern im Internet nicht als „Mörder“ bezeichnet werden. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am Donnerstag
[...] http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=29135
Der Kläger ist ein niedergelassener Gynäkologe, der auch legale Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Der Beklagte ist Abtreibungsgegner und betreibt im Internet unter der Domain „ http://www.babycaust.de " eine Website. Über die Rubrik „Grundsätzliches" auf der Website erreicht man eine Seite, auf der von einem „Holocaust im Mutterschoß" die Rede ist. Über die Rubrik „Leben oder Tod?" gelangt man zu einer Seite, die die Überschrift „Gebetsanliegen für Deutschland" trägt. Von hier aus kommt man durch Anwahl von Buchstaben zu einer umfangreichen, alphabetisch geordneten Liste, in der für zahlreiche Orte in Deutschland Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, mit Namen und Anschrift genannt sind, unter ihnen der Kläger. Unter „Deutsche Zeitgeschichte in Kurzform" heißt es auf der Seite: „Pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrag der Mutter die ungeborenen Kinder". Über einen Button gelangt man auf eine Seite, auf der es heißt: „Beten Sie, wenn möglich regelmäßig, für die Mediziner... welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen...".
Der Kläger wendet sich gegen die Aufführung seines Namens, weil er durch den Inhalt der Website indirekt als „Mörder" bezeichnet werde. Dadurch werde sein Persönlichkeitsrecht verletzt.
Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, er bezeichne zwar Abtreibung als Mord, nicht aber Ärzte, die Abtreibungen durchführten, als Mörder. Seine Website sei einem umfassenden Kampf des Lebensrechts gewidmet und beschäftige sich nicht nur mit dem Thema Abtreibung, sondern auch mit der Euthanasie und dem Holocaust. Daher werde es seinem Anliegen nicht gerecht, wenn der Kläger einzelne Zitate herausgreife und auf sich beziehe.
Das Landgericht Mannheim hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Karlsruhe hatte Erfolg.
Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, auf seiner Internetseite Abtreibungen, wie sie von dem auf der Internetseite namentlich genannten Kläger vorgenommen werden, als „Mord" zu bezeichnen.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt: Der Beklagte fordert auf seiner Website dazu auf, für Mediziner, die Abtreibungen vornehmen, zu beten, und spricht in diesem Zusammenhang vom „MORD der Abtreibungstötung". Zugleich stellt er eine Liste mit Namen und Anschriften von Kliniken und Ärzten zur Verfügung, die dem konkreten Gebetsanliegen dienen soll. Auf einer anderen Seite, von der aus man gleichfalls zu dieser Liste gelangt, findet sich u. a. die Aussage, „pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrage der Mütter die ungeborenen Kinder". Der damit hergestellte Zusammenhang zwischen der Aufforderung zum Gebet und der Liste wird von den Benutzern der Website dahin verstanden, dass der Kläger Abtreibungen durchführt und damit Handlungen, die der Beklagte als Mord bezeichnet.
Der Begriff „Mord" in diesem Zusammenhang erlaubt zwar mehrere Deutungen. Es ist denkbar, dass „Mord" hier nicht im rechtstechnischen Sinn zur Bezeichnung eines besonders schwerwiegenden, mit der Höchststrafe belegten Tötungsdelikts zu verstehen ist, sondern lediglich die Vornahme einer Abtreibung als moralisch verwerfliche Tötung des Embryos bewertet werden soll. Es ist aber auch eine Deutung dahin möglich, dass gegen die in der Liste aufgeführten Personen der schwerwiegende und gegen sie persönlich gerichtete Vorwurf einer unmittelbaren Beteiligung an Morden erhoben werden soll. Die Begründung der Aufforderung zum Gebet, nämlich dass die betreffenden Personen sich den Mord der Abtreibungstötung vornehmen, der fehlende Hinweis auf die Straffreiheit einer Abtreibung, die den gesetzlichen Anforderungen genügt, die Ausführung, pervertierte Ärzte ermordeten im Auftrage der Mütter die ungeborenen Kinder, der vielfache Vergleich von Abtreibungen mit der Vernichtung von Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus sprechen für die zweite Deutung; vereinzelt gebrauchte Formulierungen vom „straffreien Mord im Mutterschoß" genügen nicht, um die diese Deutung auszuschließen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der rechtlichen Beurteilung eines in die Zukunft gerichteten Anspruchs auf Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts nicht allein die dem Äußernden günstige Deutung zugrunde zu legen. Führt eine der Deutungsmöglichkeiten zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers, ist es demjenigen, der die Äußerung aufgestellt hat, zuzumuten, die Persönlichkeitsverletzung mit Wirkung für die Zukunft durch eine Klarstellung auszuräumen, wenn er die Äußerung nicht so gedeutet wissen will. Nachdem der Beklagte eine entsprechende Klarstellung nicht vorgenommen hat, war er zur Unterlassung zu verurteilen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2007 - 6 U 98/06 -
Quelle: Pressemitteilung vom 12.7.2007
Oberlandesgericht Karlsruhe
http://www.olgkarlsruhe.de/servlet/PB/m ... OT=1180141
Siehe auch unter
Abtreibungen durch Ärzte dürfen nicht als Mord bezeichnet werden
Ärzte, die legale Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dürfen von Abtreibungsgegnern im Internet nicht als „Mörder“ bezeichnet werden. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem am Donnerstag
[...] http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=29135